Die Verfolgung der "Asozialen" im Nationalsozialismus
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Die Sonderbehandlung und Ausgrenzung sogenannter Asozialer erforderte kein spezielles
"Asozialen"-Gesetz, da die Fürsorgebehörden zur vollsten Zufriedenheit der Nationalsozialisten
funktionierten. Erst der 1944 vorgelegte Gesetzesentwurf "über die Behandlung Gemeinschaftsfremder"
offenbarte kriegsbedingte Störungen bei der Aussonderung.
"Arbeitsscheu" im Dritten Reich:
- In einem Erlaß des Preußischen Innenministers vom 13.11.1933 wurde die Polizei ermächtigt, Personen,
die Straftaten begangen hatten, und mindestens 3x vorbestraft waren, zur "Erziehung durch körperliche
Arbeit in ein KZ einzuliefern". Der Erlaß weitete die polizeiliche Generalklausel so aus, daß auch bei
nicht strafbaren Handlungen polizeiliche "Vorbeugungshaft" angeordnet werden konnte.
- Das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher" vom 24.11.1933 gab die Möglichkeit äußerst
harte Strafen gegen "gewohnheitsmäßige Kriminelle", Bettler, Landstreicher und "Asoziale" zu verhängen.
Als "Asoziale" wurden Personen klassifiziert, denen man "gemeinschaftswidriges Verhalten" vorwarf,
wobei die Entscheidung bei den Ordnungs-und Polizeibehörden lag.
- Durch die Einweisung von "Kriminellen" in die Konzentrationslager wurde den KZ`s eine
Umerziehungsfunktion für Verbrecher unterstellt, und politische Gefangene als "Kriminelle"
etikettiert.
- Seit Mitte der 30er Jahre verlor die Justiz gegenüber der Polizei an Boden.
Himmler verkündete in einer Rundfunkansprache im Januar 1937 die Ausschaltung von "unverbesserlichen
asozialen Elementen" als Aufgabe der Polizei.
- Im März 1937 folgte eine Verhaftungswelle, in deren Verlauf 2752 "Berufs-und
Sittlichkeitsverbrecher" in die KZ`s Sachsenhausen und Dachau verschleppt wurden.
Die polizeirechtlichen Voraussetzungen für diese Aktion klärte Himmler in einem Runderlaß vom
14.12.1937, der dem Reichsjustizministerium erst am 19.1.1938 zur Kenntnisnahme zugesandt wurde.
Danach waren alle Personen in Haft zu nehmen, die mindestens 3x zu wenigstens 3 Monaten Haft
verurteilt worden waren, und ihren Lebensunterhalt mit Hilfe von Straftaten bestritten; aber auch
"Berufsverbrecher", für die zwar diese Bestimmungen nicht zutrafen, die aber dennoch "durch ihr
asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdeten".
- Im Juni 1938 kam es zu einer weiteren Sonderaktion der Polizei gegen "Asoziale", der Aktion
"Arbeitsscheu Reich". Diese Sonderaktion beschreibt Ralph Angermund in seinem Buch "Deutsche
Richterschaft 1919-1945" wie folgt: "Auf Befehl Heydrichs sollten mindestens 200 Arbeitsscheue,
Landstreicher, Bettler, Zigeuner, Zuhälter, Widerstandleister, Körperverletzer, Hausfriedensbrecher
und zudem alle vorbestraften männlichen Juden verhaftet und ins KZ Buchenwald eingeliefert werden.
Grund hierfür war der Mangel an Arbeitskräften für die Erfüllung des Vierjahresplanes. Zudem hatte
die SS in Buchenwald eine Baustoffproduktion in Betrieb genommen, für die sie dringend Arbeiter
benötigte. Die Vorgabe Heydrichs wurde bei weitem übererfüllt. Die Häftlingszahlen in Buchenwald
stiegen nicht um 200, sondern um 4000 von 3145 auf 7723.(...) Insgesamt erhöhte sich die Zahl der
" Asozialen und Gewohnheitsverbrecher" in den Konzentrationslagern von 2484 Ende 1937 auf 12 921
Ende 1938:"
- 1938/39 wurde die Gestapo personell stark ausgebaut, sie erhielt neue Kompetenzen zur Bekämpfung
aller "Schädlinge an Volk und Staat". Ab 1942/43 hatten die Gerichte die Strafhoheit über
"Asoziale" endgültig verloren.
- Für den neuen Reichsjustizminister Thierack, ab 1942 im Amt, waren "Asoziale": "unwertes Leben
in höchster Potenz, das vernichtet werden müsse, um Lebensraum im Osten zu schaffen und das durch
den kriegsbedingten Verlust guten Blutes gestörte gesellschaftliche Gleichgewicht
wiederherzustellen". Diese Aufgabe könne nur die Polizei erledigen. Thierack forderte eine
Durchschnittsstrafe für "Asoziale" von 10 Jahren, eine Strafhöhe, die unweigerlich die Auslieferung
zur "Vernichtung durch Arbeit" bedeutete, und sorgte dafür, daß die Auslieferung "asozialer
Elemente" aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur "Vernichtung durch Arbeit" innerhalb
weniger Monate vollzogen wurde. Bis zum 30.4.1943 deportierte die SS 14 700 Personen in die KZ`s,
und schon am 1.4.1943 waren über 5900 der ehemaligen Gefangenen der Justiz verstorben, weil sich
die Justiz bevorzugt kranker Gefangener entledigt hatte. Die Selektionen wurden bis Oktober 1944
fortgeführt.
- Seit Kriegsbeginn ging es vor allem um die Aufrechterhaltung der
Arbeitsdisziplin, zumeist in der Kriegsproduktion. Die Staatspolizei ordnete bei
Arbeitsvertragsbruch Schutzhaft oder die Einweisung in einen Arbeitserziehungslager an. Von Mai
bis August 1941 wurden ca. 7300 Verhaftungen wegen Arbeitsniederlegung gezählt, im gleichen
Zeitraum 1942 bereits 21 500, im 1.Halbjahr 1943 15 527 Verurteilungen wegen Verstoßes gegen die
Arbeitsdisziplin. Die "Verwahrlosungs - und Auflösungserscheinungen" an der "Heimatfront" konnten
damit letztlich nicht aufgehalten werden.
- Nach dem Krieg warteten viele Opfer jahrzehntelang auf eine Entschädigung oder blieben bis
heute ausgeschlossen. Das sind vor allem Sinti und Roma, Kommunisten (im Westen),
Zwangssterilisierte und auch unter dem Vorwurf der "Asozialität" verfolgte Menschen.
- Hierher gehörte auch das Thema Zwangsarbeiter...
- Während Vorurteile gegen jene "Volksschädlinge" eine Wiedergutmachung erschwerten, gelangten
Nazi-Richter, Erbbiologen etc. in Westdeutschland wieder zu Amt und Ehren.
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