30. Die Dekonstruktion der Arbeitswelt


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In den 80er finden wir in den franz. Wirtschaft sowohl prä-tayloristische, tayloristische wie post-tayloristische Arbeitsorganisationen. Die Fließbandarbeit ist zwar nicht rückläufig, wird sogar im Dienstleistungsbereich ausgeweitet. Insgesamt nimmt jedoch die Zahl der (graduell betrachtet) freien, selbstbestimmten Arbeitszeiten Ende der 80er auf 23 % zu, dementsprechend geht die Zahl der starren täglichen Arbeitszeit zurück. Zugleich steigen weiter die Anforderungen an die ArbeiterInnen hinsichtlich Qualität und Wartungskontrollen. Mehr als die Hälfte aller Befragten hat solche Tätigkeiten zu verrichten, in 27% der Betriebe sind die Hierarchiestufen abgebaut worden. Insgesamt stellen B/C für 1992 fest, das in jedem vierten Betrieb der 3. Geist des Kapitalismus Einzug gehalten hat. Neben dieser internen Flexibilisierung tritt die forcierte externe Flexibilisierung der Produktion. Kennzeichen hierfür sind : Outsourcing, Leiharbeit, Zunahme der Markt- bzw. Unternehmensdienstleistungen (z.B. Reinigungs-, Wach- oder Transportdienstleistungen). Durch dieses Outsourcing steigt der Beschäftigungsanteil in den Kleinbetreiben. Allgemein kommt es zu einem Rückgang der Firmengrößen. Allerdings wird durch die netzwerkförmige Produktionsorganisation im Zuge des Outsourcing die Abhängigkeit der Kleinbetreibe von den Großbetrieben noch erhöht. Jeder dritte Arbeitsplatz im Mittelstand hängt von einem Konzern ab. Diese Zunahme der Abhängigkeit von Großkonzernen führt zugleich zu einer Zunahme von unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Die abhängigen Betriebe mutieren zu einer atmenden (Ausdruck von mir) Fabrik durch Einführung von Leiharbeit, Zeitarbeitsverträgen, flexiblen Tages- und Jahresarbeitszeiten. Insgesamt erhöht sich in Frankreich die schnell einsetzbare mobile Arbeitskraftreserve deutlich. 1992 haben 8% aller ArbeiterInnen temporäre Arbeitsverträge, doppelt so viele wie 7 Jahre zuvor. 1995 arbeiten 15.6. % in Teilzeit, zugleich steigt der Anteil von ArbeiterInnen, deren tägliche Arbeitszeit länger geworden ist (mehr als 20% arbeiten länger als 10 Stunden täglich!). Besonders krass ist der Prozess des Outsourcing und der internen und externen Flexibilisierung im Automobilbau. Die Autokonzerne kaufen bis zu 75% des Herstellungsendpreises bei anderen Subherstellern ein, deren Beschäftigungspolitik auf prekarisierten Verhältnissen beruht. Die neuen Konzernmontagefabriken holen sich die Arbeitskräfte - anders als in den 70er - bevorzugt vom Lande, rekrutieren unerfahrene ArbeiterInnen, die schnell sich den neuen wesentlich härteren Arbeitsbedingungen anpassen und nicht aufmucken. Dabei wird Zeitarbeit als Disziplinierungsinstrument vom Management entdeckt. Nur wer diese erfolgreich durchläuft bekommt eine Festanstellung. Der weit um sich greifende Abbau von Sozialstandards führt dazu, dass sich ein fragmentierter Arbeitsmarkt herausbildet mit wenigeren qualifizierten und gut bezahlten Arbeitsplätzen auf der einen Seite und vielen eher minder qualifizierten, schlecht bezahlten Arbeitplätzen auf der anderen Seite. In die zweite Kategorie fallen besonders stark die MigrantInnen und Frauen. Diese Tendenz wird durch die Arbeitsrechtgesetzgebung noch bestärkt, die sich auch unter den Sozialisten eher um die Belange der festen ArbeitsplatzinhaberInnen kümmert als um die prekären A. Die Prekarisierten werden zudem auch gesellschaftlich ausgegrenzt, im Betrieb von den Festangestellten häufig diskriminiert und haben kaum die Möglichkeit sesshaft zu werden, Familien zu gründen und geraten so immer tiefer in die Armutsfalle. Diese Fragmentierung oder auch Polarisierung des Arbeitsmarktes läuft seit 20 Jahren und ist ein Prozess der Selektion und Exklusion. Die Niedrigqualifizierten sind so sukzessive aus den festen Arbeitsverhältnissen ausgelagert worden in niedrigbezahlte, flexible, temporär abrufbar - eben prekäre - Arbeitsverhältnisse. Auch dieser Prozess verlief schleichend, ohne große Brüche; häufig waren es von B/C so genannte Mikromodifikationen in der betrieblichen Arbeitsorganisation und Personalführung, wie z.B. das schrittweise Rausdrängen ältere ArbeiterInnen aus dem Betrieb mit staatlicher Unterstützung bei der Frühverrentung; oder die Produktionsvergabe an Subunternehmen, die wiederum zu deutlich schlechteren Bedingungen bezahlen und arbeiten lassen. Rausfallen tun die Niedrigqualifizierten auch durch die erhöhten Weiterbildungs- und Qualifizierungsanforderungen seitens des Managements. Der technische Fortschritt ist dafür ein Grund, ein weiterer ist das Outsourcing, die Verlagerung ganzer Produktionsstrassen ins Ausland mit Niedriglöhnen. Mehrere Studien zeigen, dass die Zunahme der Handelsbeziehungen in den entwickelten Ländern tendenziell nicht-qualifizierte Arbeitsplätze vernichten und qualifizierte Arbeitsplätze schaffen.(286) Im Segment der Niedrigqualifizierten ist die Arbeitslosigkeit in den 80er und 90er Jahren besonders hoch und demzufolge die Konkurrenz um die deutlich weniger gewordenen Arbeitsplätze auch. Im Gegensatz zum 2. Geist des Kapitalismus ist im 3.Geist die Betriebszugehörigkeit eher ein Unsicherheits- denn ein Sicherheitsfaktor. Gerade ältere, langjährige ArbeiterInnen sind vom sozialen Abstieg am meisten bedroht. In der Autoindustrie werden zudem die Gastarbeiter vor die Tür gesetzt und durch junge franz. Hilfsarbeiter ersetzt. Neue Selektionskriterien sind der Gesundheitszustand, die psychischen Fähigkeiten und p. Stabilität, die Kommunikationsfähigkeit, die Einsatzbereitschaft und Anpassungsfähigkeit und nicht zuletzt die Mobilität. Insbesondere durch die erhöhten Mobilitätsanforderungen und wechselnden Arbeitszeit fallen Frauen mit Familien als erste raus. Beispielsweise wurde in einer Rüstungsfabrik der Selektionsprozess bei laufender Produktion knallhart durchgeführt und die Belegschaft in den 90er Jahren durch wechselseitige Inkonkurrenzsetzung (u.a. mittels vorübergehender Test-Gruppenarbeit, Teamfähigkeit, Test auf analytisches und synthetisches Denken, Kommunikationsfähigkeit) innerhalb von fünf Jahren von 10.000 auf 1400 reduziert. Dabei wurden die Arbeitsaufgaben erhöht aber auch die Hierarchiestufen stark abgebaut. Aus den ehemaligen MaschinenmeisterInnen wurde das "Bedienungspersonal" für die computergesteuerten neuen Fertigungsmaschinen, rekrutiert mit erhöhter "Eigenverantwortung" und "Engagement". (BC, 292) Die Arbeitsintensität in der gesamten Industrie nimmt bei gleichbleibenden Löhnen deutlich zu. Besonders die Leerlaufzeiten werden minimiert. Zudem werden richtiggehende "Verfügbarkeitsklauseln" in die Verträge zwischen Konzernen und ihren Outsourcing-Subunternehmen eingebaut, in denen "der Arbeitgeber eine fortwährende Einsatzbereitschaft der Angestellten sichert, sich selbst aber nur zur Bezahlung der tatsächlichen Arbeitsleistung verpflichtet" (B/C, 297). Das hat Folgewirkungen auch für die Beschäftigten in den Konzernen, wo eine Abteilung gegen die andere in Konkurrenz durch sogenannte "interne Märkte" gesetzt wird. Allgemein versuchen die Unternehmen die Regenerationskosten der Ware Arbeitskraft weiter zu senken und auf den Arbeiter selbst oder den Staat abzuwälzen. Vorbild dafür ist in Frankreich seit den 80er Jahren wohl auch der Toyotismus, "in dem die Arbeitskräfte niemals unproduktiv sind und bei nachlassender Auftragslage ausgesondert werden können". Das Kaizen-Prinzip ("ständige Verbesserung") unterwirft die ArbeiterInnen vollständig unter die Logik der Produktivitätssteigerung und der Steigerung der Arbeitsrhythmen, welche soweit geht, das die ArbeiterInnen finanziell prämiert werden, wenn sie zu einer Einsparung von Arbeitskräften durch die Verbesserungen beitragen. Inwieweit dieses Kaizen-Prinzip und überhaupt der Toyotismus zum Vorbild auch für den Umbau der franz. Industrie in den 80er Jahren geworden ist, wird allerdings bei B/C nicht klar. Es werden nur an wenigen Stellen einzelne franz. Autoren zitiert, die sich auf den Toyotismus beziehen; aber welchen Einfluss diese auf die Unternehmerverbände bzw. Unternehmensberater haben, bleibt vage. Die Verdichtung des täglichen Arbeitsprozesses wird noch dadurch gesteigert, dass die Produktionsschwankungen nicht mehr durch Lagerproduktion aufgefangen bzw. ausgeglichen werden, sondern infolge der Just-in time-Produktion diese Pufferfunktion entfällt. Die ArbeiterInnen sind jetzt selbst der Puffer: Durch Verlängerung der Tagesarbeitszeit oder eben auch mal unbezahlte Freizeit müssen sie die Produktionsschwankungen auffangen. Zudem müssen sie in den Subunternehmen selbst die Qualitätskontrolle der Produkte durchführen und sind zusätzlich dadurch einem ernormen Zeitdruck ausgesetzt, müssen die zu Normen erklärten Vorgaben seitens der Auftraggeber erfüllen und die ArbeiterInnen werden natürlich nur danach bezahlt von ihren Subunternehmen. Zudem wird der gesamte Ablauf der Produktion in der Zuliefererindustrie von den Konzernen vorgeschrieben. Hinzu kommt eine völlige Überwachung des Produktionsprozesses mittels der Computer. Die toyotistische Produktion verlangt ein Mehr an Kompetenz und Qualifikation von den ArbeiterInnen und mobilisiert völlig neue Fertigkeiten, die die tayloristische Arbeitsorganisation gerade unterdrückt hatte: "Die Ausbeutung wird durch die arbeitsorientierte Nutzbarmachung menschlicher Kapazitäten (Kontaktfähigkeit, Verfügbarkeit, Anpassungsfähigkeit, affektives Engagement, Einsatz etc.) verstärkt, die der Taylorismus, der die Menschen als Maschinen behandelte, gerade nicht ansprechen wollte und konnte."(B/C, 301). Die Übernahme der toyotistischen Arbeitsorganisation (Ausdruck von mir) in der franz. Industrie produziert für das Kapital hohe Produktivitätsgewinne. "Für einen Teil der gegenwärtigen fehlenden Arbeitsplätze müssen somit eindeutig die Praktiken verantwortlich gemacht werden, mit denen alle Inaktivitätsphasen von der bezahlten Arbeitszeit abgezogen wurden, so wie die Unternehmensprofite zum Teil mit der Tatsache in Verbindung gebracht werden müssen, dass aus der menschlichen Arbeit bei gleichbleibendem Gehalt ein größere Wertzuwachs gezogen wurde" (B/C, 303) Dieser Transformationsprozess in der franz. Industriearbeit wird jedoch nicht im globalen Zusammenhang betrachtet. Einleitend im Kapitel war zwar allgemein die Rede von der zunehmenden Bedeutung der Handelsbeziehungen für den Umstrukturierungsprozess in den Fabriken (286). Bei der detaillierten industriesoziologischen Darstellung werden die Beweggründe für das franz. Kapital, die durch die europäische und globale Konkurrenz hervorgerufen worden sind, nicht erwähnt. Der franz. Staat hat in den 90er Jahren zudem die Unternehmen durch staatliche Lohnkostenzuschüsse erheblich entlastet. Fast 3 Millionen (das sind 10% aller Beschäftigten) erhielten 1997 staatliche Lohnkostenbeihilfen, deren Kosten sich 1996 auf 118 Mrd. Franc beliefen. Der Staat hat dadurch den Umstrukturierungsprozess der Untenehmen in den 90er Jahren erheblich gefördert und die sozialen Folgelasten der Allgemeinheit aufgebürdet.

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