Einführung
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Im Prolog gehen die beiden Autoren zunächst entgegen einer allgemeinen "Krisenrhetorik" davon aus,
dass der Kapitalismus in den letzten 20 Jahren "in voller Blüte" (22) dastehe. Trotz einer
Verlangsamung des Wachstums seien die Gewinne der Unternehmer stark gestiegen, insbesondere die
multinationalen Konzerne gehörten zu den Gewinnern. "Der globale Kapitalismus floriert, zumindest wenn
man darunter die Möglichkeit versteht, sein Kapital durch wirtschaftliche Investition und Anlage zu
mehren."(24) Den "Gesellschaften" jedoch gehe es schlecht. Hier zählen die beiden die im Großen und
Ganzen bekannten Erscheinungen auf: Zunahme der Arbeitslosigkeit und Armut, prekäre Beschäftigung,
Zerfall der Familie etc ist nun nicht nur für die Armen und Unterprivilegierten ein Problem, sondern
gleichermaßen auch für das Kapital. Denn ohne eine irgendwie geartete Hoffnung der unteren Klassen auf
Verbesserung ihrer Lebensbedingungen sei weder ein "Klassenkompromiss", wie er in den letzten ca.100
Jahren hergestellt wurde, noch eine notwendige Bindung an die Arbeit zu erreichen. Die ideologische
Orientierungslosigkeit und der damit verbundene Mangel an Alternativen in den letzten Jahrzehnten
habe zwar einerseits den Kapitalismus kurzfristig gestärkt, könne ihn aber auch "an den Rand einer
jener potenziell tödli-chen Krisen führen (...) solange er nicht all jenen, deren Einsatz für ein
funktionie-rendes Gesamtsystem notwendig ist, wieder Anlass zur Hoffnung gibt." (30)
Allgemeine Einführung Der Geist des Kapitalismus (39-67)
1. In der allgemeinen Einführung werden die
wichtigsten Analysewerkzeuge der folgenden Untersuchungen erklärt und definiert, sie ist
sozusagen der theoretische Teil. Vorab wird die Aufgabe des Buches darin bestimmt, die
ideologischen Veränderungen im Zusammenhang mit den jüngsten Wandlungsprozessen des Kapitalismus
in Frankreich darzustellen. Oder anders ausgedrückt: " Wir haben versucht, den Zusammenhang
zwischen dem Kapitalismus und seiner Kritik zu klären ...)(38)
2. B.C. legen zunächst eine "Minimaldefinition" des Kapitalismus vor, die sechs Punkte enthält:
- Profitmaximierung
- keine Grenze, kein möglicher Sättigungsgrad
- dynamische Konkurrenz
- Differenz zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft
- Kapitalist als Akteur trotz Systemzwänge
- abhängig Beschäftigte, d.h. kein oder wenig Eigenkapital, aber trotzdem keine Zwangs- oder
Sklavenarbeit, insofern kapitalistische Erwerbsarbeit "in gewissem Maße stets eine
freiwillige Unterwerfung"(42) beinhalte.
3. "Der Kapitalismus ist in vieler Hinsicht ein absurdes System: Die Arbeitnehmer haben ihre
Eigentumsrechte an dem Produkt ihrer Arbeitstätigkeit und die Möglichkeit zu einem unabhängigen
Erwerbsleben verloren. Die Kapitalisten hingegen sind an einer endlosen unersättlichen, durch
und durch abstrakten Prozess gekettet, der von der Befriedigung der Konsumbedürfnisse - und
seien es auch Luxusbedürfnisse - losgelöst ist. Aus Sicht beider Protagonistentypen fehlt es
einer Beteiligung am kapitalistischen Prozess im Grunde in erheblichem Maße an Plausibilität."
(42)
4. Da weder materielle Belohnungen noch pure Zwangsmaßnahmen auf Dauer ausreichen, die
"Einsatzbereitschaft der Belegschaft" zu garantieren, brauche der Kapitalismus eine "Ideologie
..., die das Engagement für den Kapitalismus rechtfertigt."(43) Die Menschen bräuchten
überzeugende moralische Gründe, um sich dem Kapitalismus anzuschließen.
5. Ein "Geist" ( Gesamtheit der ethischen Motivlagen nach Max Weber) ist notwendig, um das
Engagement für den Kapitalismus zu rechtfertigen. Er umfasst sowohl die individuellen als auch
die allgemeinen ( am Allgemeinwohl orientierten) Rechtfertigungen. (Hinweis auf
Sozialisierung etc. S.46) Geist kann auch als dominante Ideologie (47) bezeichnet werden
(jedoch nicht im Sinne von Ablenkungsstrategie).
6. Die Konstituenten des allgemeinen kapitalistischen Geistes sind einerseits grundlegende
Dispositionen gegenüber der Welt wie z.B. Zweck-Mittel-Entsprechung, praktische Rationalität,
kalkulatorische Fähigkeiten, Automatisierung der Wirtschaftaktivitäten, instrumentelles
Naturverständnis usw. und andererseits wirtschaftswissenschaftliche Rechtfertigungen wie
z.B., dass die Wirtschaft wertneutral sei, die Verfolgung des Eigennutzes dem Gemeinwohl
diene und Privatbesitz an Produktionsmitteln und Unternehmerfreiheit immer am effektivsten
dem materiellen Wohlstand diene, dass, daraus abgeleitet, der Kapitalismus emanzipativ und
freiheits- bildend sei. Der so umschriebene allgemeine Geist ist jedoch nicht Gegenstand der
Untersuchung ( er bildet nur den ideologischen Sockel), sondern die verschiedenen
historischen Variationen. Denn erst auf historisch konkrten Ebene kann der allgemeine Geist
sich konkret durchsetzen bzw. wirksam werden, indem er genug Anhaltspunkte beinhaltet,
um die Zielpersonen zu sensibilisieren (51) bzw. mobilisieren (58).
7. Der Managementdiskurs ist gegenwärtig die Form schlechthin, in der der Geist des
Kapitalismus beheimatet ist und weiter vermittelt wird. Er gibt sich sowohl abstrakt als
auch historisch, allgemein und konkret, bietet allgemeine Empfehlungen und paradigmatische
Beispiele. Vor allem mit Blick auf das Führungspersonal bzw. die kommende Generation an
Führungskräften muss der Kapitalismus sein Rechtfertigungssystem komplettieren, d.h. um
deren persönliche Einsatzmotive zu stärken. Inhaltlich geht es dabei, die drei großen
Fragen nach Autonomie, Sicherheit und Allgemeinwohl/Gerechtigkeit zu beantworten bzw. ins
Verhältnis zueinander zu setzen.(54)
8. Es werden drei Etappen des kapitalistischen
Geistes vorgestellt. Die 1. Etappe umfasst den Zeitraum vom ausgehenden 19. Jahrhundert,
die zweite die Jahrzehnte zwischen 1930 bis 1960, die dritte ist der jetzige neue Geist.
Ganz verkürzt zusammengefasst ist die 1.Etappe gekennzeichnet durch einen
paternalistischen Geist, die zweite durch die zentralisierte Organisation, die dritte
durch ein enthierarchisiertes Netzwerk. Die inhaltlichen Bestimmungen werden im
Verlauf des Buches mehrmach aufgegriffen und deshalb hier nicht weiter dargestellt.
9. Die Polis, im deutsche Sprachraum kaum geläufig und allenfalls mit den antiken griechischen
Stadtsaaten assoziert, ist aus dem im Französichen geläufigen cité übersetzt worden. Dieser
zentrale Begriff umfasst eine Rechtfertigungslogik, ein Rechtfertigungssystem, mit dem
Randordnungen und Wertigkeiten ( in der Familie, auf dem Markt, in der Industriewelt etc. )
legitimiert werden können.(711) Die Wertigkeitsordnung innerhalb der Polis setzt ein
allgemein akzeptiertes Äquivalenzprinzip voraus, d.h. gemeinsame übergeordnete Prinzipien,
nach denen unterschiedliche Wertigkeiten bemessen werden können. Es werden sechs Poleis
unterschieden: - die erleuchtete Polis - die familienweltliche Polis - die Reputationspolis
- die bürgerweltliche Polis - die marktwirtschaftliche Polis - die industrielle Polis Der
Begriff der Polis hängt eng mit der Gerechtigkeitsproblematik zusammen. Der
Rechtfertigungsimperativ ist notwendig, um eine Kritik, die eine ungerechte Situation
anprangert, entweder zu bestätigen oder zu entkräften (siehe auch 65). Der 1. und 2.
Geist des Kapitalismus mobilisiert(e) unterschiedliche Kombinationen von Polis-Formen,
der dritte Geist muss sich eine neue siebte noch schaffen, insofern die bisherigen sechs
ihm nur unzureichend gerecht werden. (ausführlicher s.u. Punkt 22)
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