Der Managementdiskurs der 90er Jahre (91-146)


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18. Zunächst wird das methodische Vorgehen dargestellt und gerechtfertigt. Im Zentrum der Untersuchung steht die Analyse der Managementliteratur der 60er und 90Jahre. Der Blickwinkel ist komparatistischer Natur(96), weil bei einer Analyse von Ideologien ohne äußeren Bezugspunkt die hervorstechenden Eigenschaften nur schwer zu erkennen sind. Aus beiden Zeitabschnitten sind zwei Korpora mit jeweils ca. 60 Texten zusammengestellt worden, die in zwei Phasen (intensive Lektüre und Textanalyseprogramm Prospero@) bearbeitet wurden. Die Begründung für die Auswahl der Managementtexte besteht darin, dass in ihnen der kapitalistische Geist am unmittelbarsten greifbar ist und neue normative Modelle verbreitet und popularisiert werden. Wissenschaftstheoretisch wird dieses Vorgehen durch Verweise auf Sombart und Weber zusätzlich legitimiert, die ähnlich vorgegangen sind. Die zentrale Fragestellung der Managementliteratur ist immer und grundsätzlich, wie sich am besten für die Arbeit mobilisieren lässt. Während jedoch in den 60er Jahren mehr die Führungskräfte im Mittelpunkt standen, geht es in den 90er um die Mobilisierung aller Angestellten. Dem Vorwurf, sich dem Untersuchungsgegenstand gegenüber naiv und unkritisch zu verhalten, insofern einzelne Merkmale überbetont werden, die sich in Wirklichkeit nur am Rande der Unternehmensprozesse befinden, wird entgegengehalten, dass eine momentane Faktenlage wenig Aussagekraft für die Zukunft besitzt (siehe z.B. Proudhon gegen Marx).
19. Die Managementtexte der 60er Jahre kritisieren implizit oder explizit den Familienkapitalismus und formulieren dabei zwei Hauptprobleme: die starke Unzufriedenheit der leitenden Angestellten und die Organisationsschwierigkeiten, die sich aus dem Gigantismus der Unternehmen ergeben. Die Manager selbst halten sich für den Inbegriff der Modernität, die Bürokratie, die aus der Zentralisierung und der zunehmenden Integration zu immer größeren Unternehmen entstanden ist und als bedrohlich empfunden wird, soll aufgebrochen werden, die Hierarchie selbst jedoch wird nicht in Frage gestellt, es geht nur um die Emanzipation des Führungspersonals innerhalb der Hierarchie. Durch Dezentralisierung, Meritokratie und zielgesteuerte Unternehmensführung (management by objectives) soll den leitenden Angestellten ein eigenständiger Aufgabenbereich zugewiesen und so ein größerer Autonomiespielraum gewährleistet werden und mehr Attraktivität bieten. Die Kontrolle im Betrieb wird für die Arbeiter über das tayloristische Produktionssystem und für die leitenden Angestellten über die zielgesteuerte Unternehmensführung gewährleistet. Das System wird gerechter, weil es auf Günstlings- und Vetternwirtschaft verzichtet, nur nach Leistung bezahlt und zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt wegen der größeren Effizienz führe. Die Sicherheitsinteressen werden durch eine Karrieresicherheit abgedeckt, Entlassungen sind nicht vorgesehen (allenfalls Umsetzungen), so dass Immobilien- und konsumtive Kredite die Lebenslaufbahn quasi natürlich begleiten. Der Wohlfahrtsstaat ist (nur für Ausnahmefälle) die letzte Sicherheitsgarantie, er gilt als notwendige Ergänzung für das Wirtschaftsleben.
20. Die Managementtexte der 90er Jahre greifen die Bürokratiekritik auf und denken sie zu Ende: die Hierarchie ist ineffiziente Herrschaftsstruktur und als eine Form der Arbeitsgestaltung abzuschaffen, nicht nur in Hinblick auf die Führungskräfte, sondern auf alle(!!) Beschäftigten(108). Eine starke Fixierung in den Texten auf Anpassungsfähigkeit, Veränderung und Flexibilität reflektiert eine veränderte Weltsicht: zunehmender Konkurrenzdruck und rascher Technologiewandel prägen diesen Textkorpus viel stärker als den vorherigen. Die Schlüsselideen sind schlanke Unternehmen in vernetzter Form(lean production), Team- und Projektform, Kundenzentrierung und allgemeine Mobilisierung der Arbeiter(112). Dabei handelt es sich um die wichtigsten Prinzipien, die der Toyotismus, der in den 80er Jahren als Reverenz diente, um mit dem fordistischen Erbe zu brechen.(123) Der Begriff des leitenden Angestellten (Führungskraft) wird entsprechend den neuen Anforderungen differenziert: Manager (leader), Coach und Experte. (s.u.) Die Kontrollproblematik in den enthierarchisierten und vernetzten Unternehmen rückt zwangsläufig in den Mittelpunkt der Texte, wie also lassen sich "emanzipierte Unternehmen" kontrollieren bzw. noch zugespitzter, wie ist das Unkontrollierbare kontrollierbar? Die Lösungen für diese Frage sind z.Zt. nur rar: Eigenkontrolle durch Eigenmotivation und Kundenkontrolle bzw. marktgestützte Kontrolle. So ist z.B. die Auflösung der Lagerbestände nicht nur ein Mittel der betriebsinternen Kostenreduzierung, sondern auch ein Kontrollmittel, insofern wartende Kunden Probleme der Produktion sofort ans Licht bringen. Die Sicherheitsvorstellungen der 60er Jahre werden vollständig in Frage gestellt, sie wird mit Statusdenken, Hierarchie und Bürokratie negativ in Verbindung gebracht. Neben einer reinen Apologie von Wandel, Risiko und Mobilität ist der zentrale Schlüsselbegriff "employability" ein Versuch, ein Ersatzmodell für die Karriereleiter (bzw. des lebenslang ausgeübten Berufes) einzuführen. Er bezeichnet das Potential, über das die Menschen verfügen müssen, damit sie in Projekten eingebunden. Diesem Versuch mangelt es aber noch an einer notwendigen Konkretisierung.
21. Im Vergleich zum 60er Korpus lässt sich zusammenfassend feststellen, dass der neue Geist zwar in weiten Teilen radikal verändert und erneuert wurde und damit der neuen Produktionsstruktur entspricht, aber auf Grund unzulänglicher Gerechtigkeits- und Sicherheitsbelange (noch) nicht das nötige Mobilisierungspotential besitzt, das die alte Variante erreicht hatte. Während also die Sozialkritik (noch) keinen Eingang in den neuen Geist des Kapitalismus gefunden hat, scheint die Künstlerkritik sehr stark berücksichtigt zu sein. Das vor allem in der linken Szene und vor allem der Arbeiterselbstverwaltungsbewegung (auch Kollektive) formulierte Bedürfnis nach Autonomie, Spontaneität, Mobilität, Disponibilität, Kreativität, Plurikompetenz, die Fähigkeit, Netzwerke zu bilden und auf andere zuzugehen, die Offenheit gegenüber Anderem und Neuem, die visionäre Gabe, das Gespür für Unterschiede, die Rücksichtnahme auf die je eigene Geschichte und die Akzeptanz der verschiedenartigen Erfahrungen, die Neigung zum Informellen und das Streben nach zwischenmenschlichen Kontakt sind direkt der Ideenwelt der 68er entliehen.(143/144) Allerdings - nicht zu vergessen - werden diese Eigenschaften und Wünsche im Kontext des Neomanagements anderen Zielen zugeordnet und in den Dienst jener Kräfte gestellt, die eigentlich zerstört werden sollten. Dasselbe Muster ist auch in Bezug auf die Entzauberungskritik zu erkennen.

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