Prekäre Beschäftigung
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Seit den 80er Jahren verändern sich die herkömmlichen Arbeitsverhältnisse radikal. Vormals
geschützte wird zur ungeschützen Arbeit, bezahlte Arbeit wird schlechter entlohnt, die unbezahlte
Arbeit wächst an. Prekäre Beschäftigung ist das Fehlen arbeits-, sozial- und tarifrechtlichen
Schutzes für die Beschäftigten. Das ist Arbeit, die nicht auf Dauer angelegt ist und nicht
langfristig existenzsichernd ist. Zur prekären Beschäftigung gehören die Bereiche
Teilzeitbeschäftigung, geringfügige Beschäftigung, Scheinselbständigkeit, Heimarbeit, befristete
Arbeit, Leiharbeit u.a. Das, was die Wirtschaft begonnen hat, soll mit Hilfe der Arbeitsmarktpolitik
weiter ausgebaut werden. Ende der 90er Jahre kam mit Clinton und dem Schröder-Blair-Papier das Reden
vom "aktivierenden" Sozialstaat auf. Die Sozialpolitik des "aktivierenden" Sozialstaates wird zur
Arbeitsmarktpolitik. Von welfare zu workfare. Die Niedriglohnstrategie ist ein Teil der "workfare"
Philosophie. Im Schröder-Blair-Papier wurde ein Sektor mit niedrigen Löhnen gefordert, um gering
Qualifizierten Arbeitsplätze zu verschaffen. Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit seien besser als
gar keine Arbeit, heißt es da. Mit dem sogenannten Sparzwang der öffentlichen Haushalte werden auch
die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Richtung prekärer Beschäftigung verändert. Im Arbeitslosenreport
1996 wurden ca. 1,6 Mio Erwerbstätige ausgewiesen, die ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse
hatten. Diese Zahl steigt beständig. Die Qualität prekärer Beschäftigung hat sich gegenüber den 80er
Jahren enorm verändert. Ursachen dessen sind vielfältige Rationalisierungsprozesse, die
Arbeitszeitflexibilisierung und die Umstrukturierung von ganzen Industriezweigen. Fortschritte in
Wissenschaft, Technik, Technologie und Organisation machten viele industrielle Industrien einfach
überflüssig. Indiz für eine neue Qualität von prekären Beschäftigungsverhältnissen ist die Vielfalt
von Berufen und Qualifikationsstufen, in denen in den 90er Jahren solche Arbeitsverhältnisse
auftreten. Eine andere Ursache ist die anwachsende Massenarbeitslosigkeit. Arbeitgeber können
Beschäftigte eher zu Lohnverzicht oder in Teilzeitarbeitsverhältnisse zwingen. Prekäre
Beschäftigung wird immer "normaler". Auch die Erwerbslosigkeit soll mit Hilfe prekärer
Beschäftigung verringert werden. Die theoretische Grundlage wurde dazu 1998 im
Bayerisch-Sächsischen Zukunftsbericht vorgelegt. Die Faktoren Kapital und Wissen werden danach
immer wichtiger, die Arbeit immer unwichtiger. Zum Faktor Arbeit gehören vor allem
Unqualifizierte, ihr Ausweg ist Niedriglohn. Den müsse man durch die strikte Anwendung von
Zumutbarkeitsanforderungen und das Senken der Sozialhilfe durchsetzen, so der Bericht. Damit
verschärfte sich die Debatte um den Niedriglohnsektor, obwohl es diesen in Deutschland schon
längst gab. Nun kam das Bündnis für Arbeit auf den Plan. Die bedeutendste Rolle hatte darin die
Benchmarking-Gruppe. Sie erhielt den Auftrag, arbeitsmarktpolitische Strategien international zu
vergleichen und Optionen für eine Verbesserung der Erwerbschancen von Geringqualifizierten
vorzulegen. Es wurde von der Gruppe ein Niedriglohnsektor gefordert. Nicht eine aktive
Arbeitsmarktpolitik könne eine beschäftigungspolitische Wende hervorrufen, das Instrument einer
neuen Arbeitsmarktpolitik müsse der Markt sein. Die Denkweisen müßten sich ändern, jeder
Arbeitsplatz sei besser als keiner. Die sich abzeichnende Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien
und der rasche Entzug von Leistungen bei Ablehnung eines Beschäftigungsangebotes müßten konsequent verwirklicht werden, so die Benchmarking-Strategen Streeck und Heinze. Auch Zeitarbeitsfirmen müßten verstärkt eingesetzt, ein höheres Maß an Flexibiliät verlangt werden.
Von der Kommission wurden vor allem 2 Modelle untersucht. Das angloamerikanische Modell der
Lohnspreizung und der unregulierten Arbeitsmärkte und das Sozialmodell Europa- Korporatismus,
Kompromiss und Konsens- mit den Beispielen Niederlande und Dänemark. In den USA fallen ca. 20% der
Beschäftigten unter die Kategorie working poor. Die Löhne im unteren Bereich sind weiter gesunken,
im oberen Bereich stark gestiegen. Das führt zu einem Auseinanderklaffen der Lohnspreizung und zu
großer sozialer Ungleichheit. Das Einkommen von 80% aller Beschäftigten ist dort seit 1980 gesunken.
64,2% aller US-Amerikaner, Kinder und alte Leute eingerechnet, haben mindestens eine Teilzeitstelle.
In Holland sind Lohnzurückhaltung, Sozialabbau und aktive Arbeitsmarktpolitik die 3 Säulen des
Poldermodells. In Holland arbeiten 38% aller Erwerbstätigen als Flexworker. In fast jedem kleinen
Ort befinden sich Zeitarbeitsfirmen. 3 Hauptmerkmale der dänischen aktiven Arbeitsmarktpolitik sind
die hohe Flexibilität, die frühen Aktivierungsphasen und die Jobrotation. Die Bezugsdauer von
Sozialleistungen wurde verringert. Es herrscht Arbeitspflicht.
Schon zuvor war in der öffentlichen Diskussion, welches Modell zu bevorzugen sei.
Wolfgang Gerhardt von der FDP schrieb, wenn Niedrigqualifizierte keine Beschäftigungschancen hätten,
würde sich eine Unterschicht von Leistungsempfängern mit allen politischen Anfälligkeiten zu Extremen
etablieren. Wenn man das nicht wolle, müße man das amerikanische Modell der Lohnspreizung kopieren
oder Niedriglöhne bezuschussen. Im FDP-Wahlprogramm wurde ein Bürgergeld gefordert, BDA und
Arbeitgeberpräsident Hundt forderten Kombilöhne. Der Präsident des Deutschen Industrie-und
Handelstages sagte, Kombilohn sei ein "trojanisches Pferd, daß wir bei den Gewerkschaftern und
Sozialpolitikern aufstellen". Über den Kombilohn sollte der tabuisierte Bereich aufgebrochen werden.
Die Kombilohn-Debatte war in aller Munde. Eine neofeudale Dienstleistungsgesellschaft mit
haushaltsnahen und personenbezogenen Diensten sollte so entstehen, das "Ideal des Dienens" wieder
heraufbeschworen werden. Die Diskussion um den Niedriglohnsektor wurde intensiv geführt. Aus der
Debatte gingen einige Modellprojekte hervor. Im Jahre 2000 starteten auf Bundes-und Landesebene
eine Reihe von größer angelegten Modellversuchen zur Beschäftigungsförderung.
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