Stigmatisierung
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Viele Erwerbslose erleben ihren Zustand als entwürdigend. Sie haben das Gefühl, weniger wert
zu sein. Das liegt daran, daß der Wert eines Menschen über Beschäftigung und Lohnarbeit definiert ist.
Das Gefühl, weniger wert zu sein, wird darüber hinaus durch die Abhängigkeit von Bürokratien und durch
die sogenannte Mißbrauchsdebatte zementiert. Als Gerhard Schröder sagte: "Es gibt kein Recht auf
Faulheit" trat er eine Debatte los. Dieser Drückebergerdiskurs ist allerdings alt, es gibt ihn seit
der Massenarbeitslosigkeit in der BRD. Zum Beispiel der Drückeberger des Norbert Blüm 1983: "Aber ist
es nicht eine moderne Form von Ausbeutung, sich unter den Palmen Balis in der Hängematte zu sonnen,
alternativ vor sich hin zu leben im Wissen, daß eine Sozialhilfe von Arbeitergroschen finanziert, im
Notfall für Lebensunterhalt zur Verfügung steht ?" Es wird versucht, Arbeitslose in "echte" und
"unechte" zu unterteilen. Dabei gibt es bei den "unechten" Erwerbslosen 3 Typen der
Argumentationsweise.
- Der Arbeitslose darf nicht arbeiten. Hierzu gehören vor allem Frauen und Ausländer. Frauen würden
in den Arbeitsmarkt drängen, wären aber nur die Dazuverdienenden. Ausländer, wenn sie nicht gerade
hochqualifiziert sind, sollten lieber in die Heimat zurückkehren. Ausländer raus, Ausländerrückführung
scheint als soziale Tat. Diese Gruppen werden als "unechte" Arbeitslose moralisch ausgegrenzt.
Hier gibt es allerdings Unterschiede in der CDU-und SPD-Politik.
- Die nächste Gruppe der "unechten" Arbeitslosen sind Erwerbslose, die nicht arbeiten können. Sie
werden als unbrauchbare Arbeitskraft behandelt. Hier wirkt die Problemgruppen- und
Qualifikationsideologie. In Zeiten der Vollbeschäftigung gab es allerdings diese Problemgruppen
nicht, wie ältere Arbeitnehmer und Behinderte. Erst durch die Massenarbeitslosigkeit sind sie zu
Problemgruppen geworden. Verwandt mit der Problemgruppenideologie ist die Qualifikationsideologie.
Erwerbslosigkeit würde mit
- Mangelnder Qualifikation korrespondieren. Nach der Devise: "Jeder ist seines Glückes Schmied."
Wer sich nicht qualifiziere, vertue seine Lebenschance. Und wenn sich alle qualifizieren würden und
die Chancen dazu hätten, wo kämen die entsprechenden Arbeitsplätze her ? Auch heute sind immer mehr
qualifizierte Menschen erwerbslos oder prekär beschäftigt.
- Der wichtigste Typus des "unechten" Arbeitslosen ist der Erwerbslose, der angeblich nicht
arbeiten will. Er wird als Drückeberger, Sozialschmarotzer oder Faulenzer bezeichnet. Das
Erwerbslose arbeitsunwillige Drückeberger seien, gehört zu den beliebtesten
Arbeitslosigkeitserklärungen. Arbeitswilligkeit ist immer mehr gebunden an Opferbereitschaft.
Wer kündigt, weil ihm die Arbeitsbedingungen oder der Chef nicht paßt, erscheint als arbeitsunwillig.
Wer Ansprüche an die Arbeit, an Arbeitsbedingungen und-inhalten, Lohn, Sinn oder Produkte hat und
nicht jede prekäre Beschäftigung annimmt, erscheint ebenfalls als arbeitsunwillig. In dieser Zeit
der Massenarbeitslosigkeit und der Drückebergerideologie wird folgender Satz aus dem "Manifest
gegen die Arbeit" zur Utopie: "Muße, notwendige Arbeit und freigewählte Aktivitäten müssen in ein
sinnvolles Verhältnis gebracht werden, das sich nach Bedürfnissen und Lebenszusammenhängen richtet."
Nur wer als Erwerbsloser Ansprüche an Arbeit und Leben aufgibt, erscheint in dieser Ideologie als
arbeitswillig. Politiker und Unternehmer, die geringere Löhne und weniger Mitbestimmungsrechte
fordern, werden in dieser Logik zu Fürsprechern der Erwerbslosen umfunktioniert. Und viele
Erwerbslose basteln selber an dieser Drückebergerideologie. Sie fühlen sich als Versager,
vertuschen ihre Erwerbslosigkeit oder definieren diese als "pfiffige" freie Entscheidung um.
Nach einiger Zeit werden viele Erwerbslose apathisch und resigniert, produzieren
Persönlichkeitseigenschaften, die als Beweis ihrer Arbeitsunwilligkeit herangezogen werden.
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