Das 17. und 18. Jahrhundert- Arbeit als Strafe
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Nochmal ein Rückblick: Es begann im 16. Und 17. Jahrhundert damit, daß man gegen die Massen von
Bettlern vorging, die der Zerfall der ständisch-feudalen Ordnung hervorgebracht hatte. Mit dem
Bürgertum steigt eine Klasse zur Herrschaft auf, die sich über Arbeit definiert und sich durch eine
um Leistung zentrierte, methodische Lebensführung von der Aristokratie abgrenzt. Die aufsteigenden
bürgerlichen Schichten praktizieren die Tugenden der Arbeitssamkeit, Askese und Sparsamkeit. Daraus
leitet man das Recht ab, unnachgiebig gegen die lasterhaften und unproduktiven Unterschichten
vorzugehen. Man erließ Verordnungen gegen das Betteln und die Landstreicherei. So wurde zwischen den
arbeitsunwilligen und den wirklich bedürftigen, arbeitsunfähigen unterschieden. Die Arbeitsunwilligen
wurden geächtet und das Betteln wurde ihnen verboten. Die 2. Entwicklung war die Durchsetzung des
"Heimatprinzips", das sich im 16.Jahrhundert etablierte. Die Herrschenden fühlten sich nur für ihre
ortsansässigen Bettler zuständig. Die anderen Bettler wurden vertrieben und im Wiederholungsfall
bestraft. Wer arbeitsfähig war, sollte arbeiten und nicht betteln ! Armut wurde nun als Resultat von
Nichtarbeiten verstanden und Arbeit als Heilmittel gegen Armut. Die Armenfürsorge ordnete sich neu. Es
entstand eine Sozialverwaltung. Ein weiteres Merkmal war ihre Pädagogisierung. Die Arbeitspflicht war
ein weiteres Element. Im Zeitalter des Absolutismus begann der Staat, sich des Armenwesens
anzunehmen. Zucht-und Arbeitshäuser waren die neuartigen Institutionen, die der Absolutismus auf
dem Gebiet des Armenwesens hervorgebracht hat. Ihre Wurzeln liegen bereits im 16. Jahrhundert.
Die erste Anstalt dieser Art entstand 1555 in London. 15 76 Errichtung öffentlicher Werkstätten zur
Beschäftigung von Bettlern und Vagabunden in Paris, zahlreiche deutsche Städte erlassen Gesetze
gegen Bettelei ( 14 00 Braunschweig, 1478 Nürnberg) 15 89 In Amsterdam wird das erste Arbeitshaus
errichtet. Um den Mangel an industriellen Arbeitskräften abzuhelfen, werden Bettler und
Vagabunden aufgegriffen und zu Zwangsarbeit verurteilt. Ebenfalls Arbeitshäuser entstehen 1604
in Bremen, 1605 in Lübeck, 1616 in Hamburg. 15 97 werden in England Armengesetze erlassen, die der
Arbeitserziehung der Armenpflege und der Behinderung von Landstreicherei und Bettelei dienen.
16 01 werden in England alle bisher erlassenen Armengesetze in einem großen Gesetz
zusammengefaßt. Eine kommunale Armensteuer, Zwangsarbeit für Arbeitsfähige, Erziehung zur Arbeit
durch Zwang soll die Bettler von der Straße bringen. Das Armenrecht bleibt 200 Jahre in Kraft.
16 18 wird von einem Kurfürsten ein Edikt erlassen, nach dem Zuchthäuser, Spinnhäuser und
Manufakturen gebaut und alle Arbeitslosen mit ihren Kindern - wenn nötig zwangsweise - zwecks
Arbeitserziehung dorthin gebracht werden sollen. 16 56 wird in Paris ein Arbeits-, Armen-,
Zucht-und Waisenhaus in Betrieb genommen, das wenige Jahre später bereits mehr als 500 Mädchen
mit Weben, Spinnen und Stricken beschäftigt. 16 66 arbeiten in den Pariser Arbeits-und
Armenhäusern etwa 6000 Personen vorwiegend in der Trikotweberei. 16 97 wird in Bristol (England)
das erste Arbeitshaus eröffnet. Man will damit einerseits die Bettler von der Straße bringen
und zum anderen billige Arbeitskräfte gewinnen. Es ist eines der größten Probleme des frühen
Kapitalismus, erstens Arbeitskräfte anzuwerben und zweitens die gewonnenen Arbeitskräfte für
die industrielle Produktion zu erziehen. In den folgenden Jahren werden in England sieben
weitere Arbeitshäuser eröffnet. Bis zum Ende des 18.Jahrhunderts gab es ca. 60 Arbeitshäuser in
ganz Deutschland.
Sachße/Tennstedt benennen "vier Entwicklungsstränge", "die im Zucht-und
Arbeitshaus zusammenfließen und ihm sein spezifisches Gepräge verleihen:
1. Die Tradition der
"stationären" Armenpflege, der Hospitäler, Armen- und Waisenhäuser;
2. der Gedanke der
Arbeitserziehung, der seit den spätmittelalterlichen, reichsstädtischen Armenordnungen die
Armenfürsorge zunehmend dominiert und im protestantischen wie im humanistischen Denken
gleichermaßen weiter entwickelt wird;
3. die beginnende Ablösung von Todes-und Körperstrafen
durch Freiheitsentzug und Zwangsarbeit als Instrumente des Strafvollzugs;
4. schließlich das
neu entstehende landesherrliche Interesse an der produktiven Nutzung möglichst aller
verfügbaren Arbeitskräfte im Dienste merkantiler Wirtschaftsförderung." " Die Arbeitspflicht
stand im Zentrum der Organisation aller Anstalten. Die Zwangsarbeit der Häftlinge war schwer
und zumeist stumpfsinnig: Hartholzraspeln, Stein-und Steinbrucharbeiten, gelegentlich auch
die Tretmühle, die dem Häftling drastisch bewußt machte, daß er dem Regiment der Anstalt
bedingungslos unterworfen war. Häufig wurden die Anstaltinsassen in den verschiedenen Sparten
der Textilindustrie eingesetzt. Wollespinnen, Seidehaspeln, Garnstreichen, Weben und Spulen
waren die Haupbeschäftigungen der Zwangsarbeiter....nirgends boten sich bessere
Möglichkeiten für die produktive Verwendung der in den Anstalten einsitzenden Züchtlinge
als in den neuentstehenden Großbetrieben. Gelegentlich wurde auch das ganze Zuchthaus an
einen Manufakturunternehmer verpachtet, so daß sich die Fabrik ganz im Zuchthaus befand und
ausschließlich von der Anstaltsarbeit lebte." (Bettler, Gauner und Proleten; S. 104-105)
Die Aufnahme in ein Arbeitshaus bedeutete für den Häftling einen vollständigen Bruch mit
seinen gewohnten Lebensverhätnissen. Fremdbestimmung durch die Anstalt, Zeitdisziplin,
detaillierte Reinigungsvorschriften usw. Mit den Arbeits-und Zuchthäusern waren Anstalten
konzipiert, die als Instrument der Disziplinierung der gesellschaftlichen Unterschichten
zu arbeitssamen, zuverlässigen Untertanen dienten. Die Arbeitspädagogik der Armenordnungen
des Spätmittelalters hatte sich hier zur totalen Institution gemausert. Mit physischer
Gewalt zwang man die Menschen, ihre schädlichen Neigungen aufzugeben und Arbeit als
Lebenssinn zu akzeptieren. Im Amsterdamer Arbeitshaus sperrte man hartnäckig Faulenzer
in einen Raum, der langsam voll Wasser lief. Der Inhaftierte konnte sich dann
entscheiden: Entweder er ertrank oder er begann kontinuierlich zu pumpen, das heißt zu
arbeiten. Der Sozialdisziplinierung waren nicht nur die Insassen der Zucht-und
Arbeitshäuser unterworfen, sondern tendenziell die ganze Bevölkerung, sofern deren
Lebensweise und Arbeitsrhythmus quer lagen zu den Anforderungen der kapitalistischen
Produktionsweise. Die ersten Unternehmer verzweifelten daran, daß die Arbeiter keinerlei
Erwerbssinn hatten und noch über einen Begriff vom Genug verfügten. Der ungeheure Zwang
der hereinbrechenden Arbeitsgesellschaft wurde von der Mehrheit nur als Verschlechterung
und als Zeit der Verzweiflung erlebt. Die Kapitalisten senkten die Löhne auf ein
absolutes Minimum, in der Hoffnung, daß das nackte Elend die Arbeiter in die Fabriken
treiben würde. Als wirkungsvollste Methode erwies sich schließlich die Einführung der
Maschinerie, die dem Arbeiter das Tempo diktierte und jegliche Lebenswelt herauspreßte.
Aus den Erfahrungen mit der ersten Arbeitergeneration kam man zu dem Schluß, daß mit
Arbeitern, die der Pubertät entwachsen seien und aus dem Handwerk oder der Landwirtschaft
stammten, für industrielle Zwecke nichts anzufangen sei. Es begann die grauenhafte
Periode der Kinderarbeit. Die Not war groß und auch die Armenfürsorge trieb die Menschen
in die kapitalistische Produktion. Außerhalb der Armenhäuser und Arbeitsanstalten
erhielten arbeitsfähige Hilfsbedürftige in der Regel keine laufende Unterstützung
städtischer Armenbehörden. Oberster Grundsatz war die Unterstützung mittels Zuweisung
von Arbeit. In Preußen hieß es im Gesetz: "Diejenigen, die nur aus Trägheit, Liebe zum
Müßiggang oder anderen unordentlichen Neigungen die Mittel, sich ihren Unterhalt
selbst zu verdienen, nicht anwenden wollen, sollen durch Zwang und Strafen zu
nützlichen Arbeiten unter gehöriger Aufsicht angehalten werden." Schlug ein
arbeitsfähiger Armer angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten aus, galt er als
arbeitsscheu und wurde nicht mehr unterstützt. Als arbeitsscheu eingeschätzte
Bedürftige wurden in mehr oder weniger geschlossene Armenhäuser eingewiesen und dort
zur Arbeit angehalten. Im 18.Jahrhundert tritt die Zwangsarbeit, d.h. die
Einweisung in Zucht-oder Arbeitshaus immer mehr in den Vordergrund...Die eigentlich
neuen Einrichtungen auf dem Gebiet des Armenwesens, die das Zeitalter des
Absolutismus hervorbringt, sind die Werk-, Zucht- und Arbeitshäuser...Die Zucht-und
Arbeitshäuser des 17. und 18. Jahrhunderts sind also primär unter dem Aspekt der
Disziplinierung der unteren Bevölkerungsklassen der absolutistischen Gesellschaft
zu interpretieren, wobei sich ihr Disziplinar-Charakter keineswegs auf die (relativ
wenigen) Anstaltinsassen beschränkt, sondern stets auch die disziplinierende
abschreckende und erzieherische Wirkung auf alle Nicht-Insassen in Rechnung
gestellt werden muß. Die pädagogisierenden Ansätze der Verallgemeinerung der
handwerklich-mittelständischen Arbeitsmoral in den spätmittelalterlich städtischen
Bettelordnungen haben sich von Maßnahmen offener Arbeitserziehung und
Arbeitsbeschaffung entwickelt zur hoch repressiven Zwangsarbeit und gleichsam die
organisatorische Gestalt einer Disziplinaranstalt angenommen. Die
Arbeitspädagogik hat sich zur totalen Institution gemausert."
Sachße/Tennstadt heben aber auch ein positives Element hervor, das Erwerben
handwerklicher Qualifikation. Im letzten Drittel des 18.Jahrhunderts gibt es
"Reformansätze". Alle arbeitsfähigen Armen müssen arbeiten, nicht nur jene in
den geschlossenen Anstalten, sondern auch jene in der offenen Armenpflege.
Gleichzeitig wird die Ehrenamtlichkeit in der Armenpflege eingeführt, der
Kontakt mit den Armen wird Sache des bürgerlichen Publikums. Im Absolutismus
bleibt von der Kommunalisierung die Verweltlichung, die Rationalisierung bleibt
oft in den Ansätzen stecken, die Bürokratisierung schreitet voran. "Die
Pädagogisierung der Armenfürsorge beschränkt sich im Bereich der Armenordnungen
und Bettelverbote auf eine immer stärkere Betonung der Arbeitspflicht und eine
dementsprechend immer schärfere Verurteilung von Müßiggang und Bettelei. In der
Praxis der Armenfürsorge führt dies zu verstärkten Anstrengungen und den
Ausschluß der "Unwürdigen" von der öffentlichen Unterstützung...Bei zunehmender
Betonung der Arbeitspflicht aller Untertanen wird die Armut als Nicht-Arbeit
gesellschaftlich geächtet."
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